Psychische Gefährdungsbeurteilung

Autoren: Svenja Haubold / Sascha Kugler im Auftrag der businessfitness konzepte UG und der Alchimedus Management GmbH.

Anforderungen an Instrumente und Methoden der psychischen Gefährdungsbeurteilung

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Arbeitgeber die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln, entsprechende Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu entwickeln und die Ergebnisse zu dokumentieren. Dazu zählen Faktoren, die eine potenzielle Gefährdung sowohl für die physische als auch für die psychische Gesundheit der Beschäftigten darstellen. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen stellt viele Arbeitgeber vor eine Herausforderung, da keine konkrete Ausgestaltung geregelt ist und eine einheitliche, vorgegebene Messmethodik fehlt (AfaMed, 2019; Windemuth, Jung, & Petermann, 2010; Lenhardt, Ertel, & Morschhäuser, 2010).

Vielfältige Instrumentarien und Empfehlungen bieten eine Orientierung bei der Ausrichtung und Gestaltung der psychischen Gefährdungsbeurteilung. Neben Verfahren der Expertenbeurteilung und experimentellen Techniken stellen Befragungen der Beschäftigten zu Belastungen und / oder Beanspruchungen die am weitesten verbreitete Messmethode dar. Der Hauptvorteil solcher Mitarbeiterbefragungen über standardisierte Fragebögen ist, dass alle Mitarbeitenden beteiligt werden können und dass mit vergleichsweise geringem Aufwand eine breite Datenbasis zu einer Vielzahl von Themen erreicht werden kann (Nübling, et al., 2011).

Der Einsatz der unterschiedlichen Verfahren im Betrieb ist ohne theoretisches und methodisches Grundwissen auf dem Gebiet „Psychische Belastung“ kaum möglich. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat in einer Toolbox über 100 unterschiedliche Instrumentarien zusammengestellt (Weigl, 2015). Die Nutzer werden nach dem Umfang ihrer Kenntnisse auf den Gebieten psychische Belastung und Erfassung psychischer Belastung in unterschiedliche Gruppen eingeteilt:

  • ungeschulte Nutzer (z. B. Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Mitglieder von Personalvertretungen, Betriebsärzte)
  • geschulte Nutzer (z. B. Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Mitglieder von Personalvertretungen, Betriebsärzte)
  • Experten (Arbeitspsychologen, Arbeitsmediziner, Arbeitswissenschaftler)

Zu jedem Verfahren erfolgt eine Kurzbeschreibung mit folgenden Aspekten:

Ziel(e), Methode(n) der Datengewinnung, Erfassung, Bewertung, Merkmalsbereich(e), Tätigkeitsklasse(n), Branche(n), Ansprechpartner und Zugangswege. Zusätzlich dazu werden die mit dem Einsatz verbundenen Kosten, die Durchführungsdauer und Beispiel-Items aufgelistet. Für einen Großteil der Verfahren entstehen keine Kosten, bei einigen ist mit einer Gebühr für den Fragebogen, Schulungen oder Intranetversionen zu rechnen (Richter, 2010).

Die Auswahl des Instrumentes ist entscheidend, um – individuell auf das eigene Unternehmen zugeschnitten – die Bewertung von Gefährdungstatbeständen vornehmen und Optimierungsfelder der Organisation ausmachen zu können (Dr. Thewes, 2013).
Dabei ist darauf zu achten, dass gütegeprüfte Methoden Anwendung finden. Nationale und internationale Normen fordern, dass Verfahren zur Erfassung und Beurteilung psychischer Belastungen den Gütekriterien Validität (Gültigkeit), Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Objektivität (Unabhängigkeit) entsprechen (ISO 10075-3:2004; EN ISO 10075-3:2004). Darüber hinaus sollte auch beachtet werden, dass das gewählte Instrument verlässlich misst, anwendbar und zumutbar ist, keine Schäden versucht, Kosten und Nutzen verhältnismäßig sind, die Untersuchten so wenig wie möglich belästigt werden und der technische Aufwand möglichst gering gehalten wird (Weigl, 2015).

Die folgenden Qualitätsgrundsätze der GDA (2018) ermöglichen eine Einschätzung der Güte und Qualität von Messinstrumenten für die psychische Gefährdungsbeurteilung sowie eine Orientierung für Experten bei der Gestaltung und Auswahl von Instrumenten und Methoden:

Qualitätsgrundsätze

  1. Es ist beschrieben, für welche Einsatzbereiche das Instrument/Verfahren geeignet ist (Z. B. Branchen, Berufs- oder Tätigkeitsarten, Betriebsgrößenklassen, …. )
  2. Anwendungsvoraussetzungen sind beschrieben (z. B. erforderliche Qualifikationen/Erfahrungen auf Seiten der Anwender).
  3. Die methodische Qualität des Instruments/Verfahrens ist geprüft und ausgewiesen. Es muss dargelegt werden, dass das Instrument/Verfahren für die Zwecke der Gefährdungsbeurteilung geeignet ist, zum Beispiel durch wissenschaftliche Gütebeurteilung oder betriebliche Referenzen.
  4. Das Instrument/Verfahren erfasst und beurteilt Tätigkeiten und Ausführungsbedingungen. Die Beurteilungen erfolgen auf Grundlage von Beschreibungen der Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen, Arbeitsumgebung.
  5. Das Instrument/Verfahren berücksichtigt die relevanten Belastungsfaktoren aus der Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, aus sozialen Beziehungen und Arbeitsumgebung.
  6. Das Instrument/Verfahren beinhaltet Methoden bzw. Hilfestellungen zur Einschätzung, ob Maßnahmen zur Minderung von Gefährdungen durch psychische Belastung erforderlich sind oder nicht. Eine sachlich begründete bzw. nachvollziehbare Beurteilung kann zum Beispiel durch Nutzung empirischer Vergleichswerte, im Instrument/Verfahren festgelegte Kriterien oder „Schwellenwerte“ oder eine Beurteilung im Workshop/Analyseteam erfolgen.
  7. Das Instrument/Verfahren sieht die Einbeziehung der Beschäftigten in den Prozess der Gefährdungsbeurteilung vor (z. B. durch Befragungen und Interviews zur Arbeitsbelastung oder in Workshops).

Es ist grundsätzlich empfehlenswert, auf validierte Instrumente und Verfahren zurückzugreifen, die für die Zwecke der Gefährdungsbeurteilung entwickelt wurden und sich für diese Zwecke praktisch bewährt haben (ausgewiesen durch betriebliche Referenzen bzw. Praxisbeispiele). Dabei sind die spezifischen betrieblichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung zu berücksichtigen. Wenn passende praxisbewährte Instrumente und Verfahren nicht vorhanden sind, kann es auch empfehlenswert sein, eigene Instrumente und Verfahren zu entwickeln oder vorhandene Instrumente an die jeweiligen besonderen Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen. (Beck, Berger, Breutmann, & Fergen, 2017).

In jedem Fall empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit Experten, die bei der Prozessentwicklung, Methodenauswahl, Erhebung und Evaluation wichtiges Methoden- und Gestaltungswissen bereit- und sicherstellen (Weigl, 2015). Dazu zählen Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Gesundheitsmanager, Dienstleister für Arbeitsmedizin, -schutz und Gesundheitsmanagement sowie Unternehmensberater.

 

 

Literatur

AfaMed. (2019). Psychische Gesundheit im Betrieb, Arbeitsmedizinische Empfehlungen. Bonn: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Information, Monitoring, Bürgerservice, Bibliothek.

Beck, D., Berger, S., Breutmann, N., & Fergen, A. (2017). Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Dr. Thewes, R. (2013). Anforderungen und Potentiale der Gefährdungsbeurteilung nach §5 ArbSchg. Betriebs-Berater , S. 1141-1145.

GDA. (2018). Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Berlin: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Lenhardt, U., Ertel, M., & Morschhäuser, M. (2010). Psychische Arbeitsbelastungen in Deutschland: Schwerpunkte – Trends – betriebliche Umgangsweisen. WSI Mitteilungen , 335-342.

Nübling, M., Vomstein, M., Nübling, T., Stößel, U., Hasselhorn, H.-M., & Hofmann, F. (2011). Erfassung psychischer Belastungen anhand eines erprobten Fragebogens – Aufbau der COPSOQ Datenbank. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaften GmbH.

Richter, G. (2010). Toolbox Version 1.2 – Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen. Berlin / Dresden: Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen.

Weigl, M. e. (2015). Empfehlungen zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed , S. 660-665.

Windemuth, D., Jung, D., & Petermann, O. (2010). Praxishandbuch psychische Belastungen im Beruf: Vorbeugen – erkennen – handeln. Wiesbaden: Universum.